„Und schaffst du das auch?“
Uff, das muss wohl ganz schön gesessen haben. Die Mutter meiner Patientin, die mir gegenübersitzt, schaut mich mit großen Augen an. Langsam und gefühlt auch etwas trotzig, strafft sie die Schultern, reckt das Kinn und erwidert nur kurz: „Ich habe das bisher alles geschafft! Ich übe jeden Tag mir meinem Kind, habe jeden Tag einen anderen Termin bei Therapeuten oder Ärzten, den wir wahrnehmen und meinen Haushalt habe ich gut im Blick!“ Es schmerzt mich zu sehen, wie sie sofort in den Rechtfertigungsmodus schaltet. „Ich sehe was du leistest. Immer wieder aufs Neue bin ich überrascht wie du all das hinbekommst. Denn eben genau all das klingt für mich nach einer Mammutaufgabe, die niemand so leicht alleine schaffen kann. Ich frage nicht, weil ich es dir nicht zutraue, sondern weil ich möchte, dass du auch Zeit findest für dich, zum Durchatmen, um etwas nur für dich zu tun oder Kraft zu tanken.“ Oh, ich merke selbst, wie pathetisch es klingt, selbst in meinen Ohren. Wie leicht es für mich ist genau das zu sagen. Ohne Kind mit Behinderung, dessen Bedürfnisse nach Sicherheit, Vertrautheit und Stabilität es zu erfüllen gilt, ohne Familie, die ich im Background auch noch manage, ohne tägliche Therapie- oder Arzttermine. Es wird mir schier unangenehm und ich frage mich, was ich denn denke, warum gerade ich, diese Frage stellen darf.
Ich brauche nur eine kleine Sekunde um die Antwort zu kennen: Weil es meine Pflicht ist als Therapeutin. Ich muss auch die Erziehenden mitdenken. Ich kann nicht nur ein therapeutisches Programm aufstellen und dann verlangen, dass dies mit 100%iger Genauigkeit und in täglicher Frequenz zuhause umgesetzt wird. Mütter und Väter von Kindern mit Behinderung sind ab Tag eins mit einem deutlich höheren Pensum an Care-Arbeit, Förderung und Verpflichtungen konfrontiert und leider erlebe ich immer wieder, dass die Gesellschaft davon ausgeht, dass mit der Geburt des Kindes mit Behinderung auch eine extra Portion Superpower für die Eltern mitgeliefert wird. Das ist der größte Trugschluss, nicht nur unserer Gesellschaft, sondern eben auch bei den Eltern selbst. „Du schaffst das schon!“ ist übrigens kein Kompliment, kein Zuspruch, sondern ein Kleinmachen von einer Lebensrealität, die Unterstützung braucht.
Ich bin ja dafür, dass wir endlich dieses „Du schaffst das schon!“ aus unserem Wortschatz verbannen. Lass uns mal Folgendes probieren „Du musst das nicht schaffen – und schon gar nicht alleine! Lass uns zusammen eine Alternative suchen!“. Das würde uns allen so viel mehr helfen.
Und das Gefühl sich manchmal einzugestehen eben doch nicht Wonderwoman zu sein, kann eben auch schmerzhaft sein – ich weiß das selbst ziemlich gut – aber viel wichtiger ist es SICH SELBST ZU SEHEN in all den To-Dos, den Erwartungen und dem Gerecht werden seines Partners, seiner Kinder und ja, auch der Gesellschaft, und den realistischen Blick auf seine eigenen Möglichkeiten nicht zu verlieren. Denn ja, es gibt das klassische „zu viel“ und dem gilt es ganz klar entgegenzutreten. Wie das geht? Wahrscheinlich nur mit ganz viel Selbsteinfühlung, die man übrigens lernen kann, einer gehörigen Portion Pragmatismus und Unterstützung und diese von so vielen Stellen wie möglich. Das ich hoffe, dass ihr mit eurem Partner bzw. eurer Partnerin schon in einem Boot sitzt ist das Eine, aber ihr dürft eben auch eure Therapeut*innen dazu anhalten, eure Kapazitäten bei der Planung von Zielen und Übungsprogrammen mitzudenken. Dann kann nämlich auch aus „Schaffst du das?“ sehr gerne ein „Wieviel schaffst du?“ werden.
Und übrigens kurz am Ende: Zu sagen „Gerade schaffe ich gar nichts!“ ist auch eine total legitime Antwort.
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